Vergangenheitsbewältigung

Vergangenheitsbewältigung

Die "St. Sebastianus-Schützenbruderschaft" Menden/Rheinland wurde am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme gegründet. Es ist daher verständlich, dass sie sich den
ideologischen Strömungen der damaligen Zeit nicht entziehen konnte. Bezeichnend ist das opportunistische Verhalten der "Erzbruderschaft vom Hl. Sebastian" im Kampf um den Erhalt der Schützenbruderschaften, das in der Vereinszeitschrift "Der Schützenbruder" in Wort und Bild zum Ausdruck kommt. Die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus bis Ende 1932 weicht schlagartig einer fast unterwürfigen Anpassung an den Zeitgeist. Es berührt heute schon eigenartig, wenn amtliche Verlautbarungen der Erzbruderschaft es begrüßen, "wenn viele treue Schützenbrüder ebenso treue Mitglieder von SA und SS werden" und "an den Schützenfahnen die nationalen Wimpel angehängt werden". Der markige Wortlaut solcher Verlautbarungen steht NS-Formulierungen der damaligen Zeit in nichts nach.



Die sorgfältig geführten Protokolle der Bruderschaft aus der damaligen Zeit lassen von den weltanschaulichen Auseinandersetzungen nichts erkennen. Aber zwischen den Zeilen sind die Tendenzen zu spüren, die Bruderschaft "gleichzuschalten" und in das allumfassende System der NS-Gliederungen - zunächst noch werbend - einzugliedern. So ist das Eintreten des Amtsbürgermeisters von Menden für den Schießstand der Bruderschaft - hierüber wird weiter unten noch berichtet - ein erster Versuch in dieser Richtung, wenn er dem Vorstand der Schützenbruderschaft auf einer Sitzung erklärt, der Schießstand werde "für die Ausübung des Wehrsports" benötigt, "also im Interesse der nationalen Bewegung liege". Wie eigenartig muss es den Vorstand berührt haben, dass sich der Amtsbürgermeister "von den einzelnen Vorstandsmitgliedern mit einem kräftigen Sieg Heil und Heil Hitler verabschiedete, dass dies ausdrücklich im Protokoll erwähnt wird. Auch die Ermahnungen des geistlichen Präses, Pfarrer Hegel, treu zusammenzuhalten, nicht allein das weltliche Anliegen des Schießsports zu pflegen, sondern auch die geistige Wehr- und Wahrhaftigkeit, und jedes neue Mitglied vor seiner Aufnahme auf seine Unbescholtenheit und geistige Wahrhaftigkeit zu prüfen, sind als Abwehr von Versuchen zu werten, die Bruderschaft im Sinne des neuen Geistes umzufunktionieren. Doch man folgte den Empfehlungen der Erzbruderschaft und so heißt es erstmals von der Mitgliederversammlung im Dezember 1933, dass der Vorsitzende sie mit einem "Gut Schuss" und "dreifachem Sieg Heil auf den großen deutschen Volkskanzler Adolf Hitler" schloss. Im Jahre 1934 wurde auch das "Führerprinzip" eingeführt, d.h. der Vereinsvorsitzende wurde künftig nur noch von der Mitgliederversammlung vorgeschlagen und von der Erzbruderschaft ernannt, wobei diese an den Vorschlag der Vereinsmitglieder nicht gebunden war. Der ernannte Vorsitzende berief dann ohne weitere Befragung der Mitglieder die weiteren Vorstandsmitglieder. In der Mitgliederversammlung vom 22. Januar 1933 wurde der bisherige Geschäftsführer der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft als "Führer" vorgeschlagen, von der Erzbruderschaft im April aber der bisherige Vorsitzende als "Führer" der Bruderschaft bestätigt und damit ernannt. Aus den Protokollen geht nicht hervor, ob der Hintergrund vereinsinterne Schwierigkeiten - die vorherigen Protokolle lassen solche nicht erkennen - oder ideologische Gleichschaltungstendenzen waren. Es kam jedenfalls sowohl im Vorstand als auch in der Mitgliederversammlung zu heftigen Auseinandersetzungen, die schließlich zum Rücktritt des Geschäftsführers und Austritt einiger Mitglieder führten. Die Bruderschaft aber wurde vor einer Spaltung bewahrt und blieb weiterhin im kirchlichen Raum angesiedelt.

Im Jahre 1936 gab es offensichtlich einen erneuten Versuch, die Bruderschaft "gleichzuschalten". Da sich die Erzbruderschaft vom Hl. Sebastian im Zusammenhang mit dem beginnenden Kirchenkampf auflöste, stellte man in der Mitgliederversammlung den Antrag, den Namen des Bruderschaftspatrons zu streichen und die Bruderschaft in "Schützengesellschaft 1932 Menden" umzubenennen. Dieser Antrag fand auch eine ausreichende Mehrheit. Die Bruderschaft war damit zwar äußerlich ihres kirchlichen Charakters entkleidet, aber der Geist blieb derselbe. Patronatsfest und Schützenfest wurden weiterhin mit Gottesdiensten begangen und auch das Ehrengeleit zu den Prozessionen weiterhin gestellt. Auch der neue Vereinsführer, Fritz Haas, sen., der wohl als Kompromiss aus den vorangegangenen, oben geschilderten Querelen der Vorstandswahl hervorgegangen war, fand das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder. Im folgenden Jahr scheint es dann zum Bruch gekommen zu sein. Bei der fälligen Führerneuwahl in der Versammlung am 29. Mai 1937 wurde zwar der bisherige Vereinsführer mit großer Mehrheit wiedergewählt, der auch den bisherigen Vorstand wieder berief. Aber auf einer Mitgliederversammlung zwei Monate später teilte der Geschäftsführer mit, der bisherige Vereinsführer habe sich aus der Bruderschaft abgemeldet, ohne dass die Gründe im Protokoll genannt werden. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 30. Oktober 1937 wählte man dann den bisherigen Stellvertreter, Felix Schneider, zum neuen Führer, der laut Protokoll "einen interessanten Bericht über die in letzter Zeit entstandenen vor- und nachteiligen Situationen im Vereinsleben" gab, ohne dass Einzelheiten genannt werden. Man kann auch hier nur aufgrund der geschichtlichen Hintergründe des damals voll einsetzenden Kirchenkampfes vermuten, welcher Druck auf die Bruderschaft ausgeübt wurde.

Die Jahreshauptversammlung Anfang 1938 war mit einem Familienabend verbunden, den der Schützenkönig ausgerichtet hatte. Neben den üblichen Vereinsinterna wurden u.a. "diverse Schreiben der Geheimen Staatspolizei und des Kreisschützenführers Kratz aus Siegburg verlesen", deren Inhalt leider das Protokoll nicht mitteilt. Offensichtlich wurde die Auflösung angedroht, denn Anfang April 1938 wurden im Erzbistum Köln alle kirchlichen Vereine und Bruderschaften verboten. Auf der Versammlung am 27. März 1938 erhielt der langjährige Kassierer der Bruderschaft, der sich inzwischen ebenfalls abgemeldet hatte - in kurzer Zeit der zweite Austritt aus dem Kreis der alten Führungs- und Gründungsmannschaft - eine Dankurkunde. Nach Schluss dieser Versammlung, auf der noch das Königsschiessen sowie ein innerhalb der Ortsvereine vorgesehenes Königsschießen besprochen worden war, blieb man noch mit den Damen der Schützenbrüder gemütlich beisammen. Eigenartig schließt dann diese Protokolleintragung: "Mit dieser letzten Niederschrift verknüpfe ich die Worte 'Leb wohl, Schützengesellschaft 1932' ". Die restlichen Blätter des Protokollbuches sind leer - kein Hinweis auf eine Auflösung, ein Verbot. Aber es kann kein Zweifel bestehen, dass die Schützenbruderschaft der reichseinheitlichen Verbotswelle zum Opfer gefallen war


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